Fitnesstraining im Alter: Chancen, Sinn oder Unsinn?
Vor Beantwortung dieser Frage gehört der Versuch einer Klarstellung, was Fitness eigentlich bedeutet: Fitness ist ein sehr subjektiver Begriff, er hat nicht unbedingt mit Gesundheit zu tun, auch chronisch Kranke können durchaus fit sein oder auch eine Fitness anstreben, um besser mit der Krankheit zu Recht zu kommen.
Auch kann man körperliche und geistige Fitness unterscheiden.
Schon unter Turnvater Jahn haben wir gelernt, bei körperlichem Training, beim Sport drei Ziele vor Augen zu haben: nämlich Ausdauer, Kraft und Koordination. Was im Alter am meisten verloren geht, ist die Koordination.
Einigen wir uns bei dem Begriff Fitness vorweg einfach auf einen Zustand der Zufriedenheit mit den eigenen Möglichkeiten im Alltag problemlos zu funktionieren - im optimalen Fall sogar noch Funktionsreserven zu haben, wenn man durch Alter, Krankheit oder Verletzungen eingeschränkt wird.
So scheint ein 80-jähriger fit, wenn er Im Stehen noch in die Socken kommt.
Oder unser Medizinischer Dienst bescheinigt jemandem Fitness, wenn er mit 90 noch allein in die Badewanne hinein und auch wieder herauskommt.
Andererseits muss ein Mensch, der durch ein selektives Krafttraining eine 100kg schwere Hantel stemmen kann, keineswegs auch fit sein.
Körperlich fit ist sicher auch jemand, der mit 75 noch problemlos Tennis oder über mehrere Stunden Golf spielt. Aber was unterscheidet einen solchen Menschen von jemandem, der gesund - d. h. ohne Krankheit -im Alter körperlich nicht mehr aktiv Ist, einen eher bewegungsarmen Alltag bewältigt: er verarmt vordergründig an seinen motorischen Vernetzungen im Gehirn, vor allem extrem dann, wenn er alltäglich nur noch die gleichen Verrichtungen im Haus und auch die gleichen kurzen Wege in der Wohnung und vielleicht noch hin zum Auto und mit dem Auto zum Edeka-Laden macht.
Man erkennt einen solchen Menschen sofort schon an seinem Gangbild, das sich sehr unterscheidet von dem seines Nachbarn, der noch hin und wieder mit seinen Enkeln im Garten Fußball spielt.
Entscheidend für die Einschränkung der motorischen Leistungen mit zunehmendem Alter aber ist der Verlust an motorischen Vernetzungen: Unser Körper, d. h. unser Gehirn spart Vernetzungen ein, verarmt geradezu an Neuronen-Verknüpfungen, die nicht mehr benutzt werden, und das sogar in einem Ausmaß, das wir uns kaum bewusst machen. Wenn sie im jüngeren Alter aber einmal angelegt, antrainiert und genutzt waren, bleiben sie sozusagen in Bereitschaft für einen späteren Bedarf erhalten, müssen lediglich durch neuerliche Nutzung reaktiviert werden. ..
Dies gilt vor allem für komplexe Bewegungsmuster, die man als Bewegungserfahrung im Leben erlernen, aber auch wieder verlernen kann, wie etwa das Balancieren einer Stange auf einem Finger: dazu bedarf es tausender sensomotorischer Rückkopplungen in Bruchteilen einer Sekunde, das schafft bis heute kein Roboter selbst bei extrem hoher Rechenleistung. Oder man denke an die Fingermotorik eines Klavierspielers, der zudem ein ganzes Solokonzert aus dem Kopf spielt.
Solche motorischen Vernetzungen sind angelernt, erworben und zeigen im Ergebnis deshalb ganz spezielle Automatismen. Wir sprechen hier von unserem "motorischen Gedächtnis". Das eindrucksvollste Beispiel für eine unbewusst ablaufende Feinarbeit ist unsere Zunge, ein plumpes Muskelpaket, das eine unglaubliche Feinarbeit leistet wie z. B. das Herauslösen einer Grete aus einem Fischhappen, um diese dann vorn durch die Zähne zu schieben.
Ein Schlaganfall-Patient muss verloren gegangene Funktionen in anderen erhalten gebliebenen Hirnarealen neu vernetzen, neu erlernen und neu lokalisieren. So etwas gelingt bis ins hohe Alter. Das Gehirn hat eine hohe Anpassungsfähigkeit an auch neue motorische Herausforderungen, wir sprechen hier von der großen „Plastizität des Gehirns“.
Die Gewährleistung oder die Wiedererlangung einer solchen Vernetzung ist für Fitness und Trainingserfolg im Alter - wie ich hiermit andeuten wollte - eigentlich der wichtigste Trainingsaspekt, mit dem größten Profit für das, was wir unter Fitness im Alter verstehen.
Was ist denn nun aber mit der an den Kraftgeräten erreichbaren Stärkung der Muskelkraft?
Zweitrangig - aber zum Glück für uns, die Kraftgeräte vorhalten, keineswegs unwichtig:
Das breite Hantelangebot können wir alten Leute beiseite lassen, es dient vor allem den jungen Leuten zur Stärkung ihrer Langhebelmuskeln, die gezielt das Body-Shaping zum Ziel haben, der klassische Langhebelmuskel ist der Bizeps. Ob wir mit Ihm 30 oder 60 kg an der Maschine ziehen können, ist für die Bewältigung unserer Alltagsaufgaben völlig irrelevant, das gilt sogar für den Leistungssportler. Dennoch kam man in einem Kraftgeräte-Zirkel durchaus auch Sinnvolles mit diesen Kraftgeräten erreichen, speziell, wenn man sie mit Herausforderungen der Koordination kombiniert, das kann man z. B. sehr gut an Seilzuggeräten, wenn man sich bei den Übungen auf ein Luft-gefülltes Kissen stellt, erst dann wird auch wieder die Vernetzung motorischer Hirnbahnen massiv gefordert.
H.E.